Wintersemester 2007/2008
Universität Hamburg

Die Musik des Fin de siècle

Vorlesung (eine Veranstaltung der Arbeisstelle für wissenschaftliche Weiterbildung)
Freitags 10.15 – 11.45, Hörsaals B, Edmund-Siemers-Allee 1

Die Musik des Fin de siècle, also der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, ist gleichermaßen von einem kaum überschaubaren Stilpluralismus wie von einer intensiven, teils affirmativen, teils kritischen Auseinandersetzung mit der Tradition geprägt. In den Jahren um 1900 erlebt die Romantik ein bemerkenswertes Revival und wird zugleich mit der Sprengung aller ästhetischen Konventionen experimentiert, wird die Überwindung der erstarrten bürgerlichen Normen künstlerisch vermittelt. Gerade innerhalb des musikalischen Ausdrucks sind die Erschütterungen und Umwälzungen der kompositorischen Tradition zwischen einer konservativen Revolution und einem kompromisslosen Fortschrittsdenken angesiedelt. Die Tonkunst der Jahrhundertwende verbindet jedoch nicht allein diese vielleicht singuläre Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, sondern auch ein außerordentlich produktives Wechselverhältnis. Die Epoche ist geprägt von zahlreichen Einflussnahmen und auch Kooperationen zwischen namhaften Komponisten und Schriftstellern.

Anhand exemplarischer Künstler und Werke werden die Umwälzungen in der Musik und im Falle der Oper die Beziehungen zwischen Literatur und Musik des Fin de siècle erörtert. Ausgangspunkt ist eine Betrachtung der Wurzeln dieser Epoche, die im 19. Jahrhundert liegen, der Darstellung von stilistischen und musikspezifischen Entwicklungen, die den Boden für die verschiedensten Umwälzungen in der Musik bereiteten. Als Bindeglied zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert ist die Musik Gustav Mahlers zu sehen, dessen symphonische Sprache unter den Gesichtspunkten der Romantik-Renaissance und der Verbindung heterogener Elementen wie die des Trivialen und Artifiziellen behandelt wird. Auf dem Gebiet der Oper steht mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss die einzigartige Zusammenarbeit zwischen einem Literaten und einem Komponisten im Vordergrund, während die kompositorische Entwicklung Arnold Schönbergs – dem „Vater der Neuen Musik“ – von der musikalischen Radikalität dieser Zeit Zeugnis ablegt. Die geistige Beziehung zwischen dem Publizisten Karl Kraus und dem Komponisten Alban Berg bildet die Grundlage für die Darstellung seines kompositorischen Schaffens, einer Mischung aus höchster Strenge und überbordender Romantik bis hin zur abschliessenden Betrachtung des Einflusses von Kraus auf Bergs Stoffwahl und Librettobearbeitung für seine Oper „Lulu“ und deren charakteristischen dramaturgischen und kompositorischen Merkmale.

 

Literatur:

Jens Malte Fischer, Jahrhundertdämmerung. Ansichten eines anderen Fin de siècle, Wien 2000

Jürg Stenzl (Hrsg.), Art nouveau. Jugendstil und Musik, Zürich 1980

 

Terminplan

1. Sitzung:
Einführung: Die Musik des Fin de siècle

2. Sitzung:
»Im Volkston«:
Gustav Mahlers Symphonik
zwischen trivialem Volksliedduktus und artifizieller Gigantomanie

3. Sitzung:
Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss:
Der Literat als Librettist oder die Musik als Rettung aus der Sprachkrise

4. Sitzung:
Die Neue Wiener Schule und ihre musikalische Radikalität

5. Sitzung:
Alban Berg und Karl Kraus:
Freund, Vorbild oder stellvertretendes Gewissen?

6. Sitzung:
Alban Bergs »Lulu« oder der Komponist als Librettodramaturg